„Das Tor der Zukunft“
„Das Tor der Zukunft“ ist ein bedeutendes Werk von Otto Glöckel und wurde im Jahr 1917 veröffentlicht. Es beschäftigt sich mit einer umfassenden Schulreform, durch seine innovativen Ansätze zur Verbesserung des Bildungssystems war es bahnbrechend für seine Zeit.
„Das Tor der Zukunft“ hatte einen erheblichen Einfluss auf die Bildungsdebatte und inspirierte viele Reformbemühungen im Bildungsbereich. Die formulierten Ideen hatten internationalen Einfluss auf die Entwicklung moderner Bildungssysteme.
In der ersten Ausgabe der „Freien Lehrerstimme“ nach dem zweiten Weltkrieg verfasste Wilhelm Stemmer einen Nachruf auf Otto Glöckel. Es gibt keinen besseren Anlass als den 150. Geburtstag von Otto Glöckel, um diesen historischen Zeitungsartikel wieder in der originalen sprachlichen Fassung (alte Rechtschreibung) erneut zu veröffentlichen.
Otto Glöckel zum Gedenken
In uns steigt die Erinnerung an das Jahr 1918 auf, das uns nach einem ebenfalls verlorenen Krieg einen ebensolchen geistigen und materiellen Trümmerhaufen zurückgelassen hat. Wenngleich heute dieser Trümmerhaufen, bedingt durch die Länge, Härte und technische Entwicklung des Krieges, ungleich größer ist, so war der von 1918 eine ebenso schwere Belastung für den Wiederaufbau. Damals wie heute galt die erste Sorge der verantwortlichen Männer der Sicherung der materiellen Existenz. Daß es inmitten dieser fast unüberwindlichen Schwierigkeiten möglich war, der ideellen Forderung nach Erneuerung der Schule nicht nur Gehör zu verschaffen, sondern sie sofort in Angriff zu nehmen und innerhalb der kürzesten Zeit zu verwirklichen, ist das persönliche Verdienst Otto Glöckels gewesen.
Er war am 15. März 1919 als Unterstaatssekretär für Unterricht an sein Amt mit der festen Überzeugung herangetreten, daß die neue Demokratie für ihren künftigen Bestand von der Erziehung her einen festen Unterbau bekommen müsse. Die Schule müsse zu größtmöglicher geistiger Selbständigkeit erziehen und freie, stolze, sittlich gefestigte, verantwortungsbewußte Staatsbürger hervorbringen. Der Weg hiezu müsse allen in gleicher Weise offen sein. Er wußte, daß die neue Schule der Weg sein mußte, der die Arbeiterschaft aus der Dumpfheit des Proletarierdaseins, aus der geistigen und materiellen Dürftigkeit des Lebens herausführen wird. Ihre Sorgen und Nöte fühlte und kannte er seit seinen frühesten Kindheitstagen. In seinem Geburtsort Pottendorf erhielt er seinen ersten sozialen Anschauungsunterricht, wobei ihm der Lehrersohn, bewußt wurde, daß der Tiefstand der Arbeiterschaft von der Erziehungsseite her überwunden werden müsse. Erbe und Veranlagung bestimmten ihn, sich ebenfalls dem Lehrberuf zuzuwenden. Seine sozialen Anschauungen wurden jedoch von Bürgermeister Lueger nicht gebilligt, und Glöckel wurde 1897, nach wenigen Unterlehrerdienstjahren, aus dem Schuldienst entlassen. Von da an bis zu seinem Tode gehörte er der Arbeiterschaft und erst recht – der Schule. Für Glöckel, der mit solcher Liebe am Lehrerberuf hing, bedeutete die Maßregelung einen schweren Schlag. Um so mehr war er entschlossen, sich nun mit seiner ganzen Kraft in der Politik dafür einzusetzen, daß der Lehrer als freier Mensch die Kinder des Volkes zu freien Bürgern erziehen könne. 1907 wurde er, kaum 33 Jahre alt, in Joachimsthal, Neudeck, Graslitz und Platten im Erzgebirge zum Abgeordneten gewählt und war von da an ohne Unterbrechung Mitglied des österreichischen Abgeordnetenhauses bis zu dessen Auflösung im Jahre 1933.
In dieser Zeit hatte er für die Erneuerung der Schule unentwegt gekämpft und nach 1919 jenes große Werk geschaffen, das als Glöckel-Schulreform Weltruf erlangte. Die organisatorischen und methodischen Pläne waren weit gestreckt und Glöckel wußte, daß dieses große Werk der Schulerneuerung nur unter Mitwirkung aller, der Lehrer und der Eltern, gelingen könne. Sie suchte er zu gewinnen, ihnen die Herzen und die Hirne aufzuschließen und sie zu überzeugen, daß sie an der Zukunft der Kinder und des neuen Staates ausnahmslos mitgestalten müssen. Als glänzender, mitreißender Redner eilte er von Versammlung zu Versammlung, von Beratung zu Beratung und warb um Verständnis für seine Schulreformideen, bis der Bau in seinen Grundfesten stand. Dann öffnete er allen, die da sehen wollten, die Tore der Schule. Und sie kamen, nicht nur aus Wien und Österreich, sondern aus aller Welt und staunten über diesen einmaligen, großangelegten Versuch und seine Erfolge, besonders aber über die Begeisterung mit der Glöckels engere Mitarbeiter, aber auch die Lehrer, Eltern und Kinder am Werke waren. Glöckels Weg war nicht nur ein Weg rauschender Erfolge, sondern er hatte auch gegen politische und wirtschaftliche Widerstände zu kämpfen; aber er führte seine Pläne behutsam und zielbewußt durch.
Mitten aus dieser rastlosen, von höchstem Idealismus getragenen Tätigkeit wurde der durch die verhängnisvollen Ereignisse des Jahres 1934 herausgerissen und gleich vielen unserer Besten in das Gefängnis geworfen. Die acht Monate Haft hatten das Herz des kaum Sechzigjährigen, der bisher so gesund, unverbraucht und lebensfroh schien, gebrochen. Von den Folgen dieses körperlichen Zusammenbruches erholte er sich nicht mehr. Doch dachte niemand daran, daß sein Ende so nahe war, wahrscheinlich auch er nicht. Trotzdem begann er die Bilanz seines Lebens zu ziehen und sie in einer Selbstbiographie niederzuschreiben, die seine Schweizer Freunde nach seinem Tode vollendet und in Druck gelegt haben. Aus ihr, sowie aus vielen Briefen, die er aus der Haft an seine Freunde schrieb, spricht immer wieder der unerschütterliche Glaube an den Fortbestand der Schulreform in aller Welt und auch – in Österreich.
Diese Überzeugung hatte Glöckel nicht im Arbeitszimmer, nicht bei Beratungen und Konferenzen, sondern in der Schulstube gewonnen. Dorthin zog es ihn immer wieder, denn er war in seinem Herzen Lehrer geblieben. Wann immer es ihm die Tagesarbeit gestattete, kam er in irgendeine Schule, um sich unter dem unmittelbaren Eindruck der Arbeit in der Schule von der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges zu überzeugen. Frühere Minister erschienen nur zu besonderen Anlässen und nach vorheriger Ankündigung, wobei sie meist die Schule in Angst und Aufregung versetzten. Glöckel erschien unangesagt, wie ein guter Freund. Und alle freuten sich, denn sie wußten, daß er der Schule bester Freund war. Er saß nicht oben auf dem Katheder, sondern war mitten unter den Kindern, arbeitete und redete mit ihnen wie ein älterer Freund zu jüngeren. Es war wunderbar anzusehen, wie der Mann, der im Alltag nur mit Ministern und Politikern zu tun hatte, in wenigen Augenblicken den Weg zum Herzen der Kinder fand, der großen und der ganz kleinen. Otto Glöckel in der Schule, dies Erlebnis ist allen, denen es jemals beschieden war, unvergeßlich.
So feiern wir heute nicht einen Toten, sondern den als Mensch, Schulmann und Politiker so lebend in unserer Erinnerung stehenden Otto Glöckel. Auch sein Werk ist nicht tot. Noch stehen die Grundfesten des Baues; wohl ist es dem Gegner gelungen, da und dort den Verputz ein wenig abzuschlagen, aber die Grundform nach dem Willen des Bauherrn steht noch, uns mahnend, diesen Bau wieder aufzurichten und nach seinem Willen zu vollenden.
Dies Vermächtnis wird erfüllt werden!
Quelle: Freie Lehrerstimme vom 20. Juli 1945. Verlag: Zentralverein der Wiener Lehrerschaft. Wien